Was ist eine geistige Behinderung?

Geistig behindert? Kognitiv beeinträchtigt? Seelenpflegebedürftig? Umgangssprachlich wird noch fast immer der Ausdruck „ geistig behindert“ verwendet. Nur: Was ist hier mit Geist gemeint? Die geistige Individualität des Menschen, die Intelligenz, das Denkvermögen?
Neue Erkenntnisse schaffen neue Begriffe. Welcher Ausdruck, welche Definition kann helfen, das Verständnis gegenüber den Betroffenen zu verbessern?
Nach Auffassung etwa der anthroposophischen Heilpädagogik ist der Geist des Menschen – im Sinne seiner geistigen Individualität – nie krank oder behindert . Gestört ist lediglich die gesunde, harmonische Verbindung von Leib, Seele und Geist. Die betroffenen Menschen benötigen eine besondere Pflege des seelischen Bereichs als verbindendem Element zwischen Körper und Geist: So werden sie denn „seelenpflegebedürftig“ genannt.
In Fachkreisen setzt sich immer mehr der Begriff der kognitiven Beeinträchtigung durch. Die Betonung liegt auf einer Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten.

DAZU GEHÖREN

Hinter der offensichtlichen Behinderung befindet sich ein empfindender, lebendiger Mensch, der wie alle anderen auch den Wunsch hat dazu zu gehören und – seinen Fähigkeiten entsprechend – in ein sinnvolles Handeln kommen zu können. Dabei ist er aber auf die Unterstützung anderer Menschen angewiesen.

BEZIEHUNG

Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung sind auf Beziehungen existentiell angewiesen und nehmen Beziehungsangebote gerne an. Auch, um sich weiterentwickeln zu können. Dabei ist es sehr wichtig, den Menschen dort abzuholen, wo er steht.

BEEINTRÄCHTIGUNG

Man spricht zwar von kognitiver Beeinträchtigung, muss aber beachten, dass die eigentlichen Probleme oft im sozio-emotionalen Bereich liegen.

Dr. Barbara Senckel

Es gibt viele Definitionen für geistige Behinderung. In Fachkreisen spricht man heute nicht mehr von geistiger Behinderung. Man nennt die Behinderung dieser Menschen treffender kognitive Beeinträchtigung. Die deutsche Psychologin Dr. Barbara Senckel hat viel über Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung geforscht. Dr. Barbara Senckel ist Psychologin und Dozentin an der Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilpädagogik der Diakonie Stetten in Waiblingen. Die Beschäftigung mit den Problemen geistig behinderter Menschen gehört zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit:

Dr. Barbara Senckel

„Auch Menschen mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung können durch eine intensive Begleitung sowie liebevolle und fürsorgliche Betreuung die Potenziale ihrer Persönlichkeit entfalten“.

Potenzial

“Ablehnung, Zurücksetzung, Ausgrenzung, Nicht verstanden werden und Entwertung können psychisch krank machen.”
Dr. Barbara
Senckel Psychologin

“Auch Menschen mit schweren kognitiver Beeinträchtigung können durch eine intensive Begleitung sowie liebevolle und fürsorgliche Betreuung die Potenziale ihrer Persönlichkeit entfalten.”
Dr. Barbara
Senckel Psychologin

„Ein geistig behinderter Mensch ist in seiner Fähigkeit beeinträchtigt, Reize, die er aus seiner Umwelt oder seinem Körperinneren aufnimmt, in sinnvolle Informationen umzuwandeln und angemessen zu reagieren. Das heißt nicht, dass er das nicht lernt. Aber das geistig behinderte Kind braucht viel länger, um elementare Zusammenhänge zu erfassen und Handlungsfolgen zu begreifen. Es lernt beispielsweise nicht so schnell, dass ein Gegenstand auch dann noch weiter existiert, wenn er aus seinem Gesichtskreis verschwindet. Folglich wird es beispielsweise das Verschwinden des Gegenstandes hinnehmen und sich nicht umblicken oder gar suchen. Das behinderte Kind wird auch nicht so schnell lernen, dass ein bunter Gegenstand rasselt, wenn es ihn schüttelt. Damit aber erfährt sich das geistig behinderte Kind immer wieder als unfähig, Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen und die Welt nach eigenen Wünschen mitgestalten zu können. Das wiederum hat entscheidenden Einfluss auf die bewussten Steuerungsfähigkeiten des Menschen. Das geistig behinderte Kind ist beeinträchtigt in seinen Möglichkeiten der Urteilsbildung, der Realitätsprüfung und der gedanklichen Vorausschau von Handlungen. Das führt zu einer Ich-Schwäche und, wenn sich die Misserfolge häufen, zu wiederkehrenden Frustrationen. Aus diesen können wiederum problematische Verhaltensweisen resultieren.

Dies kann dann zusätzliche Ablehnung nach sich ziehen. Natürlich hat das Folgen. Menschen mit einer geistigen Behinderung sind ja nicht automatisch auch psychisch krank. Sie können es aber werden, nämlich dann, wenn sie immer wieder Ablehnung, Zurücksetzung, Ausgrenzung und Entwertung erleben müssen. Hinzu kommt, dass diese Kinder aufgrund gesundheitlicher Probleme oder wegen Gedeihstörungen häufiger eine ärztliche oder gar klinische Behandlung über sich ergehen lassen müssen und dann nicht selten aus der vertrauten Umgebung gerissen und von ihren Bezugspersonen getrennt werden. Das alles führt immer wieder zu schweren Traumatisierungen, die dann auch psychische Erkrankungen nach sich ziehen können.

Entsprechendes Wissen und eine grundlegend positive, wertschätzende Einstellung gegenüber Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung kann einer problematischen Verhaltensweise vorbeugen.“

helena_kisling

Insieme

Geistige Behinderung bedeutet eine Beeinträchtigung im kognitiven Bereich. Zu den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zählen zum Beispiel die Fähigkeiten zu lernen, zu planen, zu argumentieren. Einschränkungen in diesem Bereich können auch bedeuten, dass eine Person Schwierigkeiten hat, eine Situation zu analysieren, etwas zu verallgemeinern oder vorauszuschauen.

Wie wir „geistige Behinderung“ definieren.

Geistige Behinderung

“Geistige Behinderung bedeutet in erster Linie eine Beeinträchtigung oder Verlangsamung der intellektuellen Entwicklung.”
Insieme
Dachorganisation der Elternvereine für Menschen mit einer geistigen Behinderung

“ Die Diagnose allein sagt aber noch nichts über die mögliche Entwicklung eines betroffenen Kindes aus.”
Insieme
Dachorganisation der Elternvereine für Menschen mit einer geistigen Behinderung

Sie beeinflusst die Gesamtentwicklung oder die Lernfähigkeit in unterschiedlicher Art und Weise. Bei Menschen mit einer geistigen Behinderung verläuft die Entwicklung langsamer als bei anderen Menschen. Die Entwicklungsschritte sind weniger voraussagbar.

Es gibt genetisch bedingte, angeborene geistige Behinderungen wie zum Beispiel das Down-Syndrom. Stoffwechselstörungen, Komplikationen während der Geburt, Sauerstoffmangel oder Unfälle können ebenfalls geistige Behinderungen verursachen.